In Zeiten von Social Media wird versucht alles mit #, Shares und Likes zu messen. Das Bild das sich dabei abzeichnet, kann stimmen, oder eben auch nicht. So war der #refugeeswelcome in Westeuropa viel stärker verbreitet als in Osteuropa. Heisst das jetzt, dass Osteuropa "dunkel" ist im Sinne von "grundsätzlich nicht emphatisch", wie die Datenvisualisierung vermuten lässt? Viele osteuropäischen Regierungen haben sich angesichts der Flüchtlingslage in keiner Weise verdient gemacht. - Das ist Fakt. - Aber von einem Hashtag auf Twitter indirekt auf ganze Zivilbevölkerungen zu schliessen, greift insbesondere in Osteuropa zu kurz. Dazu habe ich mich auf Facebook umgehört und dabei sind so einige interessante Antworten zusammen gekommen. Die wichtigsten Punkte zusammengefasst:
- Osteuropa twittert häufig nicht auf Englisch
Für den #refugeeswelcome gibt es Pendants auf Tschechisch mit #prijimam auf Slowakisch; #vyzvakludskosti , oder auch auf Estnisch #sõbralikeesti . Auf Ungarisch gibt es gemäss Auskünften einer ungarischen Journalistin kein entsprechender Hashtag. - Twitter spielt in gewissen osteuropäischen Ländern keine grosse Rolle.
Auch junge "digital natives" haben oftmals keinen Twitter-Account. Sprich: Ein Hashtag ausschliesslich über Twitter zu visualisieren, bringt keine aussagekräftigen Resultate. - Es gibt Initiativen der Zivilgesellschaft sehr wohl online.
Auch wenn auch dort teilweise mehr Hass als Erfreuliches zusammen zukommen scheint. Beispiele dazu gibt es hier aus Ungarn und gleich nochmals aus Ungarn und hier aus der Slowakei.
Es ist also nicht so, dass Osteuropa grundsätzlich "dunkel" ist. Osteuropa kann auch nicht mit der Politik des ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban gleichgesetzt werden. Anlass zur Sorge gibt es allerdings durchaus. Wer in der Nacht von Freitag auf Samstag auf Twitter die Meldungen über mögliche Übergriffe von Hooligans auf Flüchtlinge am Bahnhof Keleti in Budapest mitverfolgt hat, den musste es unweigerlich schaudern. Ja, es gibt stark rechtsgerichteten Kräfte in Osteuropa. Das Thema ist nicht neu, die Gründe dafür aber sehr vielfältig und nur schwer in einem Blogeintrag abzuhandeln. In Polen, Ungarn, der Ukraine und Bulgarien gab es in der Zwischenkriegszeit faschistische Bewegungen und in Rumänien sogar eine faschistische Regierung. Doch im Gegensatz zu Deutschland wurde die Geschichte nur vereinzelt aufgearbeitet. Die darauf folgende Zeit hinter dem eisernen Vorhang scheint alles davor gewesene zu überschatten. Abgesehen von diesen extremen Randgruppen ist die gesamte Gesellschaftsstruktur in vielen osteuropäischen Ländern sehr homogen. In Polen, Tschechien, Ungarn, der Slowakei usw. ist nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung muslimisch. Wenig eigene Erfahrung mit muslimischen Mitmenschen scheint viele zu verunsichern und anfällig zu machen für Stereotypen. Die Medien in osteuropäischen Ländern, wie etwa in Tschechien, haben ihren Teil dazu beigetragen, in dem sie intensiv über die mögliche Gefahr von Terroristen unter den Flüchtlingen berichteten. Anders als in Deutschland, Grossbritannien oder der Schweiz, gab es in diese Länder in den letzten Jahrzehnten keine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Ganz im Gegenteil; gerade junge und gut ausgebildete Leute wandern nach Westeuropa aus. Die Einwanderung als mögliche Lösung für eigene demographische Probleme zu sehen, ist bislang nicht populär. In dieser teilweise sehr emotional geführten Diskussion scheint ein Blick auf Fakten zielführender zu sein. Ja, in Osteuropa werden zu wenige Flüchtlinge aufgenommen. Nur gilt dies auch für eine ganze Reihe an westeuropäischen Staaten. Leider. Wenn also von fehlender Solidarität die Rede ist, dann müsste das auf gesamteuropäischer Ebene geäussert werden. Ein Hashtag allein, reicht dazu schlicht nicht aus.