Die Nachricht machte in der Nacht von Samstag auf Sonntag auf Twitter schnell die Runde: Sechs politische Gefangene in Belarus sind durch den Präsidenten Lukaschenko begnadigt worden. Was geht vor sich im abgeriegelsten Land Europas?
Статкевич на свободе.
Жыве Беларусь. pic.twitter.com/fgaY4RyYrp
— Anton Motolko (@Motolko) August 22, 2015
Der Oppositionelle Mikalaj Statkevitsch macht sich keine falschen Hoffnungen. Gegenüber dem belarussischen Oppositionsmedium Charter '97 hat er seine Vermutungen geäussert, weswegen er am Samstag, 22. August, nach fast fünf Jahren Haft, begnadigt wurde:
"Lukaschenko geht das Geld aus. In den nächsten Tagen wird die Eurasische Union entscheiden, ob für Belarus ein neuer Kredit gesprochen wird und das Regime vom russischen Geld abhängig macht. Unsere Freilassung war vielleicht ein politischer Einschüchterungsversuch gegen Putin: "Schau, ich treffe mich mit dem Westen, wenn du kein Geld gibst, würde ich mich sehr gekränkt fühlen."
Der belarussische Präsident Lukaschenko befindet sich in der Tat in der Sackgasse: Die wirtschaftliche Lage des Landes ist stark von Russland und dem Rubelkurs abhängig. Doch darum steht es seit Herbst letzten Jahres denkbar schlecht. Lukaschenko ist dringend auf Kapital aus dem Ausland angewiesen. Doch so lange er das Land gegen jeglichen Fortschritt und gegen politische Gegner abriegelt, wird kein Geld aus Europa nach Belarus fliessen. Für Statkevitsch und seinen Mitstreiterinnen ist klar, dass Lukaschenko in diesem Leben kein Demokrat wird. Seit zwanzig Jahren ist er in Belarus an der Macht und die Opposition blickt sehnsüchtig über mehrere Grenzen in die Europäische Union und seit dem Maidan auch in die Ukraine.
Ende Oktober finden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Präsident Lukaschenko hat kurz nach den letzten Wahlen Oppositionspolitiker verhaften lassen, unter ihnen auch Statkevitsch. Sie werden ihm auch bei den kommenden Wahlen nicht gefährlich, denn just am 21. August - einen Tag vor der Freilassung - ist die Frist verstrichen zur Einreichung von 100'000 Unterschriften, um für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Dies hört sich sehr nach einem Kompromiss mit der Europäischen Union an. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, hat auf die Freilassung sehr positiv reagiert:
Welcome the news of the release of 6 political prisoners, including former Prdt candidate Statkevich, by Lukashenka in #Belarus 1/2
— EP President (@EP_President) August 22, 2015
This is a belated move and they should have never been imprisoned in first place. Presidential elections key for reassessing relation 2/2
— EP President (@EP_President) August 22, 2015
Ein erster Schritt für die Annäherung scheint getan. Damit hat sich Lukaschenko auf einen Hochseilakt eingelassen. Belarus befindet sich in einem noch stärkeren Abhängigkeitsverhältnis zu Russland, als die Ukraine. Dessen ist sich Putin bewusst und er wird im aktuell sehr angespannten Klima nur wenig Interesse an einer Annäherung zwischen der EU und Belarus haben. Lukaschenko fürchtet derweil um seine noch verbliebende Souveränität.
Könnte sich in Belarus ein ähnliches Szenario abzeichnen wie in der Ukraine? Das Land ist ebenso Teil Europas und Fortschritt wäre auch dringend nötig in Belarus. Doch die Zeichen stehen eher gegen eine solche Entwicklung. Die Opposition in Belarus ist schwächer, alternative Medien gibt es kaum und eine Zivilgesellschaft ist faktisch inexistent. Der schwierigen Situation ist sich auch Statkevitsch bewusst:
"Ich habe mir seit meiner Freilassung viele Gedanken gemacht in welcher Situation sich die belarussische Opposition sich jetzt befindet. Ein Kandidat aufzustellen scheint mir politischer Selbstmord zu sein."
Vieles wird vom Verhalten Lukaschenkos und der Europäischen Union abhängig sein. Auch wenn Lukaschenko offiziell aus "humanistischen Gründen" die Oppositionspolitiker freigelassen hat; an seiner Integrität darf gezweifelt werden. Wenn die russische Regierung bereit ist viel Geld zu bezahlen, um den verbündeten Belarus bei Seite zu halten, wird sich noch lange nichts ändern an der politischen Situation im Land. Trotz der Freilassung der politischen Gefangenen.